Der Eishai und das Wissen vom Meer

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Der norwegische Autor Morten Strøksnes hat einen Freund in Nordwestnorwegen. Hugo ist der Nachkomme der Fischer- und Fischhandelsfamilie Aasfjord, die auf den Lofoten einst eine grosse Fischfabrik betrieb, die seit Jahren vor sich hingammelt, seitdem die Konzentration des Fischhandels den Betrieb unrentabel werden liess. Hugo und seine Frau Mette wollen im fortgeschrittenen Alter dem Zerfall Einhalt gebieten und die alte Fabrik als Kulturzentrum wieder auferstehen lassen. Aber Hugo hat noch weinen anderen Traum: Zusammen mit Morgen will er einmal in seinem Leben einen Eishai fangen, deren Leber einst das allerbeste Öl für alle mögliche lieferte, für Farben zum Beispiel, und Hugo malt. Aber nicht deswegen soll eines dieser blinden, grossen und gefrässigen Individuen den Tiefen des Vestfjords entrissen werden; es geht vielmehr darum, einmal eines dieser legendären Tiere an der Angel zu haben und zu sehen. Es geht sozusagen um den Kick.

Doch ein Eishai lässt sich nicht blicken. Der tags zuvor versenkte Köder ist zwar weg; doch das war’s. Auch das nächstemal. Jedesmal. So verbringen die beiden Freunde in jeder Jahreszeit Stunden und Tage auf dem Boot, frischen Erinnerungen auf, träumen vor sich hin. Und in dieser Stimmung erzählt sich Morten alles vom Leib, was er übers Meer weiss und was Forscher und Reisende in vergangenen Jahrhunderten wussten, die das Meer im Norden voller furchtbarer Ungeheuer glaubten. Und das ist so klug eingeflochten, dass der kundige Leser sich nicht langweilt, weil er’s aus anderer Perspektive erneut lernt, während der Neuling sich eine erste Kundigkeit erwirbt. Getrieben wird der Leser so oder so von der Neugier, wann denn jetzt endlich diese Gestalt aus der Tiefe auftauchen werde, und ersatzweise, wie es denn nun mit der Renovation der Fischfabrik vorangehe. Strøksnes versteht es wunderbar, einen durch Nichtereignisse hindurch am Lesen zu halten – man will es einfach wissen und ist am Ende tatsächlich reich an Wissen.
Wer wissen will, wie das Meer im Norden ist und überhaupt: hier, bitte.

Morten A. Strøksnes: «Das Buch vom Meer». DVA. München, 2016. 368 Seiten, gebunden. CHF 26.90. ISBN 978-3-421-04739-7.

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