Ein Meister der Achtsamkeit im Kleinen

 

 

 

 

Handke hatte mich nie angesprochen, ich hatte kaum etwas von ihm wahrgenommen, bis mein Bruder mir vor ein paar Jahren «Immer noch Sturm» zu lesen empfahl, und auch seither habe ich mich nicht nach Büchern von ihm umgeschaut, mich erst mit ihm zu beschäftigen begonnen, als die Kritik wegen der Verleihung des Nobelpreises losbrach, an ihm, dem «Milosevic-Verehrer», dem «Srebrenica-Leugner» und was der Etiketten mehr sind. Ich hatte mich zusammen mit Irmy, die mir diesen Film eben empfohlen hat, vor zwei drei Jahre intensiver mit der Geschichte der jüngsten Jugoslawienkriege auseinandergesetzt und dabei erkennen müssen, dass sie nicht so einfach zu erzählen ist, wie ich mir das aus oberflächlicher Zeitungslektüre damals zurecht gelegt hatte. Und ja, ich hatte mitbekommen, dass dieser seltsame Handke damals für Serbien Partei ergriffen hatte, oder zumindest nicht für eine andere Seite in jenem nah-fernen, unverständlichen Krieg.

Und jetzt dieser Film mit und über Peter Handke, ruhig, langsam, in behutsamen Bildern und leisen Tönen, den der Südwestfunk 2016 ausstrahlte und den ich mir damals mangels Interesses nicht anschaute; drei Jahre danach ist er nun aus aktuellem Anlass kurz wieder im Angebot. Und endlich versteh ich, warum Handke mich nicht angesprochen hatte und vielleicht auch, warum viele mit ihm Mühe haben oder gar über ihn herfallen. Handke ist kein Meister der scharfen Analyse, des schnellen Worts und der klaren Stellungnahme in Debatten; er ist ein Meister des Kleinteiligen, ein Meister der Achtsamkeit, ein Achter des Biotops, und wenn er darüber spricht, setzt er seine Worte wie Versuche eines möglichen Ausdrucks, bedächtig, zögernd, fragend, ringend, fast unsicher, mag es scheinen. Auch in seinem Schreiben ist diese Haltung zu spüren, und es ist wohl kein Zufall, dass er nie an einem Computer schreiben mochte, sich gar vom Tippen auf der Schreibmaschine verabschiedet hat und von Hand in Notizbücher schreibt, oft auch unterwegs, im Freien.

Ein feiner Film, nicht, weil er Handke ins Zentrum rückt, sondern weil er dem Leser, auch dem potentiellen Leser von Handkes Büchern den Menschen, der sie geschrieben hat, in dessen Art näherbringt, in seinen Stärken und Schwächen. Es ist vollkommen klar, dass dieser Peter Handke verloren ist gegenüber einer Kritik, wie sie ihm entgegen schallt, weil er etwas getan hat, was damals gerade nicht der Erwartung entsprach, und es ist zugleich klar, warum er jetzt nicht die erwartete selbstkritische Distanz davon nehmen kann, was er möglicherweise missverständlich, vielleicht gar falsch getan und geschrieben hatte. Da prallen zwei Welten nicht der Anschauung, sondern der Art des Schauens aufeinander, das Modische des über alles sofort Bescheid zu wissen und eine eindeutige Meinung zu haben und das Altmodische des ruhigen Schauens und des späteren Berichtens, wenn es innerlich verarbeitet ist und dann noch erzählenswert erscheint.

Corinna Belz, «Peter Handke. Bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte…», Südwestfunk, 2016
Läuft noch bis 12.12.2019 (danach suchen auf youtube)

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