Archiv für die Kategorie ‘Literatur’

Tod in Genua, und überall

Mittwoch, 23. Oktober 2019

 

 

 

Alles bricht in sich zusammen, und Genua ist ein Spiegelbild hierfür. Die Idee einer zivilen Gesellschaft zerschellt am staatlichen Verhalten gegenüber Protestierenden gegen den G7-Gipfel. Die Vorstellung von der Sicherheit des Lebens in einem modernen Staat stürzt mit dem Zusammenbruch der Morandi-Brücke in den Abgrund. Die in ihrer Grandezza unsterbliche alte Tante Matilde hat sich unversehens ins Jenseits abgemeldet, was derart unerhört erscheint, dass ihr Begräbnis zum Desaster gerät, in welchem sich alles auflöst. Auch die Liebe zwischen Nina und Paul, den beiden andern Hauptpersonen, deren Schwierigkeit wie ein stetig röter werdender Faden durch den Roman führt, der sich zu dessen Ende aufdröselt, zerbröselt, verfällt. Nichts bleibt mehr ausser Bedauern, auch darüber, dass der Roman schon zuende ist, in dessen Bildern und Tönen und  Farben ich mich fast häuslich eingerichtet hatte, so dass ich mich als Lesender getragen fühlte, fortgetragen wie die imaginierte Tante Matilde in ihrem antiquierten Kreuzfahrtschiff, aus tausend Fenster zugleich winkend, wie zum Trost für den unwiderruflichen Abschied.

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Übers Mittelmeer nach Europa

Montag, 21. Oktober 2019

 

 

 

Der Schweizer Journalist Beat Stauffer kennt den Maghreb seit vielen Jahren und berichtet über den vorwiegend arabischen Norden Afrikas immer wieder in der NZZ und auf Schweizer Radio SRF. Stauffer hat sich dabei auch wiederholt kritisch mit der Migration aus dem Maghreb nach Europa auseinandergesetzt. Nun legt er ein umfangreiches und reich dokumentiertes Buch zum Thema vor.

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Hommage an den vorlesenden Biologielehrer Handschin

Samstag, 10. August 2019

 

 

Warum ich gerade heute beim Erwachen an meinen Biologielehrer an der Kantonsschule Zürcher Oberland (KZO) gedacht hab, kann ich mir nicht erklären. Ich weiss nur, dass ich diese Geschichte jetzt festhalten muss, egal, was ihretwegen an Arbeit liegen bleibt.

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Wenn ganz viele Menschen aus Afrika kommen

Mittwoch, 01. Mai 2019

 

 

 

 

 

Hier schreibt ein Autor über die Migration von Afrika nach Europa aufgrund von Zahlen und Fakten, die bestimmte Überlegungen nahelegen, denen er nicht ausweicht, anders als viele in Europa, die sich nicht mit den Folgen auseinandersetzen wollen. Die aber kommen so oder so, die Frage ist nur, ob wir sie vorausschauend gestalten oder abwarten, bis sie über uns hereinbrechen.

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Vergrabene Kriegsbeile ruhen nicht

Samstag, 05. Mai 2018

 

 

 

Das Bologneser Autorenkollektiv Wu Ming folgt in seiner Romancollage «Kriegsbeile» einer fixen Idee. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs mussten sich viele italienische Partisanen in den Ostblock absetzen, um nicht liquidiert zu werden von Faschisten, die relativ problemlos in die Rolle von Polizisten, Richtern und Beamten schlüpften. Da KPI-Chef Togliatti nach dem Sieg der Christdemokraten bei der ersten Parlamentswahl der jungen Republik im Interesse nationaler Versöhnung angeordnet hatte, dass die Partisanen ihre Waffen abgeben, blieb der einzige Schutz, den die Partei den Kämpfern noch bieten konnte, der klandestine Abgang nach Jugoslawien, in die Tschechoslowakei oder nach Moskau.

Doch es ging das Gerücht, einige Partisanen seien ganz woanders hin ausgewichen, nach Indochina, als Kämpfer in den Reihen der dortigen Befreiungsarmeen. (mehr …)

Kindliches Schreckstaunen, unbotmässig

Sonntag, 03. Dezember 2017

 

 

 

Du erzählst mutig, Romana. Zum einen, weil Du aus Deinem eigenen Leben als Mädchen und junge Frau erzählst und Dich dabei auszieht, bis Du so nackt auf dem Glastisch liegst wie Deine Geschichten, wenn sie erst als Idee da sind und Du sie zu verlieren fürchtest vor dem Aufschreiben, das warten muss, weil grad was Dringendes dazwischen kommt. Und zum andern, weil sich leicht überprüfen lässt, ob stimme, was Du mir erzählst.

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Die aus Passion aufs Meer fahren

Donnerstag, 09. November 2017

 

 

 

Die Römer Autorin Antonella Mei porträtiert in «I Passionauti» ganz unterschiedliche Menschen mit ihrer Passion für das Meer. In einem Land, dessen Küste fast 8000 Kilometer misst und das nicht zuletzt wegen seiner unzähligen Badestrände besucht wird, scheint das auf den ersten Blick selbstverständlich. Doch das Buch geht vom Erstaunen darüber aus, dass eine Kultur des Meeres gerade in Italien nicht besonders gepflegt werde, vor allem keine Kultur des Auf-dem-Meer-Seins.

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Wie denkt das Menschentier über andere Tiere?

Sonntag, 05. November 2017

 

 

Der zu recht populäre deutsche Philosoph Richard David Precht legt ein Buch über das Verhältnis des Homo sapiens zu andern Tieren vor, das ich aus zwei Gründen für unbedingt lesenswert halte. 

Zum einen verfolgt Precht in der ersten Hälfte des umfangreichen Werks die Veränderung der Sicht des Menschen auf (andere) Tiere von der Steinzeit bis zum heutigen Tag. In diesem Rückblick führt er uns vor Augen, dass «die heute so selbstverständlich gezogene Grenze zwischen Tier und Mensch (…) kulturell eine junge Entwicklung innerhalb des Gedankenwelt des Homo sapiens» ist. Precht verweist hier auf «Fabelgestalten, halb Mensch und halb Tier» in Höhlenmalereien und bei Urvölkern. 

Die trennende Sicht des Menschen auf andere Tiere hat ihren Ursprung in der Agrarrevolution vor etwa 10 000 Jahren, in welcher Zivilisationen begannen, Teile der Natur planvoll zu nutzen. Interessant ist allerdings, dass die Trennung nicht sofort wirksam wurde. Im alten Ägypten, so Precht, wurden Tiere verehrt:«Als Mittler zwischen transzendenten Kräften und  natürlichem Leben avanciert das heilige Tier zum Orakel, zum Dolmetscher und Herold göttlicher Energien.» Interessant aber auch, dass die Verehrung nicht alle Tierarten umfasste. Ähnlich der heutigen  Trennung zwischen Schmusetier- und Nutztierarten jagten Ägypter etwa Krokodile und Elefanten, Letztere gar bis zur Ausrottung.

Precht macht vor allem die Religionen für die Instrumentalisierung der Tiere verantwortlich, und zeichnet die Zunahme menschlicher Distanzierung vom Judentum über die Antike bis zu den grossen Weltreligionen Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus – nicht ohne die «Dissidenten» zu erwähnen, die in  jeder Epoche für ein geschwisterliches Verhältnis zu Tieren einstanden, aber als Minderheit zu ihrer Zeit wirkungslos blieben. So setzte sich schliesslich das Selbstbild des Menschen als «kluges Tier» und dessen Sicht auf alle andern Tiere als unbeseelte Maschinen durch. «Platon, Aristoteles, Cicero, Augustinus, Thomas von Aquin, Descartes, Spinoza, Pascal, Leibniz, Kant und Hegel – allesamt schaufelten sie am grossen Graben zwischen Mensch und Tier.»

Erst ab dem 17. Jahrhundert gewinnt ein vor allem von Mitleid getragenes Umdenken zum Umgang mit Tieren allmählich Boden. In der Folge entstehen Bewegungen für Tierschutz und Vegetarismus, Vorläufer der ethischen und aktivistischen Entwicklung der jüngeren Zeit, in der sich eine wortstarke Minderheit für Tierrechte, Tierbefreiung und den Verzicht auf jede Nutzung von Tieren (Veganismus) einsetzt (guter Überblick in Klaus Petrus: «Tierrechtsbewegung – Geschichte, Theorie, Aktivismus»).

Erst nach diesem langen Weg in der Ideengeschichte der letzten Jahrtausende konnte unlängst ein Philosoph ganz selbstverständlich schreiben: «Philosophen sind sich über viele Dinge nicht einig, weil sie sehr nachdenklich Menschen sind; über einige Dinge allerdings stimmen sie aus dem selben Grund in einem erstaunlich hohen Grad überein» (Markus Wild in einem Facebook-Post über Veganismus).

Damit komm ich zum zweiten Grund, das Buch mit dem wunderbar doppelsinnigen Titel «Tiere denken» allen ans Herz zu legen: Es ist keine vegane Streitschrift. Precht überlässt die Schlussfolgerung für die eigene Moral den Lesenden, ohne den Zeigefinger gegen sie zu heben. Anders als mancher Tierrechtler differenziert er erstaunlich; so kann er einem gut geführten Zoo durchaus auch positive Seiten abgewinnen. Und anders als mancher vegane Aktivist sieht Precht den Durchbruch einer fleischlosen Ernährung nicht dank Pamphleten kommen, sondern dank Technik. Weil heute grosse Investoren auf Kunstfleisch setzen, geht er davon aus, dass wir in absehbarer Zukunft ganz einfach auf die Schlachtung von Tieren verzichten können. Trick statt Ethik. Prechts philosophischer Pragmatismus hat ihm seitens radikaler Veganer auch schon Kritik beschert; für ihn zählt aber vor allem, ob die Menschheit ohne die Nutzung von Tieren auszukommen lernt.

Richard David Precht: «Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen». Goldmann, München, 2016. 509 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-442-31441-6

Mit Robert Menasse in Brüssel

Samstag, 04. November 2017

      

 

Lieber Robert

Dein längerer freiwilliger Aufenthalt in Brüssel hat uns nicht nur Deinen essayistischen «Europäischen Landboten» beschert, sondern nun auch einen wunderbaren Roman. In «Die Hauptstadt» kreuzen sich die Wege verschiedener älterer Herren, die in Brüssel was zu tun haben und in ihren Schicksalen miteinander verknüpft sind, ohne voneinander zu wissen. Noch gar ahnen sie, was gleichzeitig in der Europäischen Kommission an Plänen zur Feier des Jubiläums eben dieser Institution entworfen wird. 

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Eroberer der Weltkarte

Montag, 18. September 2017

Was der britische Diplomat, Segler und Schmetterlingsforscher in diesem Buch vorlegt, ist nichts anderes als die Geschichte der Navigationstechnik und der Kartierung naher und ferner Küsten in Form eines spannenden Romans. Kein Buch für jedermann; aber eine bereichernde Lektüre selbst für Menschen wie mich, die wenig von Mathematik, Trigonometrie, Astronomie und Technik verstehen.

Wer sich aus der bequemen Selbstverständlichkeit der satellitengesteuerten Ortsbestimmung (GPS) zurückversetzen möchte an Zeiten, in denen es viel schwieriger war, herauszufinden, wo genau man sich grad befinde, findet in Barrie einen wunderbaren Führer. Es ist für uns heute fast unvorstellbar, wie Seefahrer einst ohne oder mit höchst ungenauen Karten und ohne andere Orientierungshilfe als Sonne, Mond und Sterne einfach die Anker lichten und auf die andere Seite des Erdballs segeln konnten – und dort tatsächlich ankamen, falls sie nicht unterwegs Schiffbruch oder Tod durch Krankheit erlitten. Wahre Abenteurer des Entdeckens. Manche derartige Mission wurde von Königen und Regierungen nicht in Auftrag gegeben, um ferne Völker und deren Bodenschätze zu erobern, sondern schlicht zur Vermessung der Welt.  (mehr …)