Intime Frauenportäts in der DDR, 1998

Etwas aus der Zeit kurz vor dem Zusammenbruch des Regimes in der DDR (eine Zeit und ein Land, die mich immer wieder beschäftigen) und speziell zur Situation der Frauen:

«Winter Adé», ein berührender Film mit schlichten, nahen, sehr intimen Porträts, die nur gelingen  konnten, weil zwischen den Menschen vor und hinter der Kamera etwas Verbindendes bestand. Ich habe wenige Jahre nach der «Wende» auf dem Land unter den Menschen öfter etwas Ähnliches erlebt, was mir in dieser Selbstverständlichkeit nicht vertraut gewesen war.

Am stärksten berührt haben mich zwei der Frauen im Film, die damals 37jährige Schwerarbeiterin und alleinerziehende Mutter zweier Kinder, die sich ihrer behinderten Tochter wegen ausgeschlossen fühlt, wenig Perspektive für sich selber sieht und ihre Kraft aus der Zuneigung ihres Sohns schöpft; am liebsten würde man sie einfach in den Arm nehmen. Und die 83jährigen Urgrossmutter bei der Feier ihrer diamantenen Hochzeit, die später, allein mit der Regisseurin, davon berichtet, dass sie als Schwangere habe heiraten müssen, es aber später bereut habe, weil der Mann fremdgegangen sei, und die trocken feststellt, eigentlich hätte sie einen Besseren verdient.

Die aus Thüringen stammende Anja, der ich den Tip zu diesem sehr speziellen Dokumentarfilm verdanke, schrieb mir dazu: «Es ist der einzige mir bekannte aus Frauenperspektive, der zeitlich sehr nah an 89 liegt (also schon die „geistige Aufbruchsenergie“ enthält), aber noch völlig unberührt ist von der West-Sicht, von den ab 89 sofort einsetzenden West-Narrativen. Das macht den Film einzigartig. Man kann auch das andere Geschlechterverhältnis spüren … im guten wie im schlechten Sinne.»

Winter Adé. Eine Bahnreise durch die DDR im Jahr 1988.
Dokumentarfilm von Helke Misselwitz, DDR, 1998.
Mediathek der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung oder auf Youtube

 

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