Engadiner Abgründe

 

 

 

 

 

Der Jungpolizist aus dem Unterland tritt seine erste Stelle nach der Ausbildung an, und schon am Wochenende vor seinem ersten Arbeitstag kommt der dem König im Tal auf die Schliche. Zwar wird er von seinen Vorgesetzten ausgebremst und vom Dienst suspendiert, bevor er ihn antreten konnte, weil einfach nicht sein kann, was nicht sein darf; aber der Jungpolizist überführt den  Bösewicht derart klar, dass die Polizei gar nicht anders kann, als ihn zu verhaften.

Die Geschichte entwickelt sich gradlinig und ohne überraschende Wenden; man ahnt früh, dass es sich nicht um einen Unfall handeln und dass nur der eine der Täter sein kann. Aber das Böse wird fast liebevoll erzählt, der Böse sozusagen gestreichelt, und alles so hübsch lokal koloriert, dass man Seite um Seite mit Genuss schlürft. Die Überraschung dieses Krimis liegt darin, wie er zelebriert wird. Ein Kleinod, über das hier nicht mehr verraten sei, weil es sich einem nur beim Lesen zeigt.

Nur zufällig war ich auf dieses Buch aufmerksam geworden, weil es mit andern Neuerscheinungen vor der Kasse jener Winterthurer Buchhandlung auflag, bei der ich jeweils bestelle, was mich interessiert, damit ich’s abholen kann, wenn ich mal wieder in der Schweiz bin. Calonder sagte mir gar nichts; aber Titelblatt und Klappentext riefen mir zu, dass ich das Buch kaufen soll.

Erst kürzlich, zwei Jahre später, erfuhr ich, dass hinter Calonder der mir bekannte Autor Tim Krohn steckt, der einst wie sein Jungpolizist aus dem Unterland in ein Bergtal gezogen war und dort, im Münstertal hinter dem Engadin, auf eine veritable Goldader gestossen sein muss, derart, dass er nun einen Teil seiner unbändigen Produktion unter einem andern Namen veröffentlicht, weil ihm sonst vielleicht niemand glauben würde, dass er das alles selber geschaffen habe. Denn einmal begonnen, können es Calonder und Capaul nicht mehr lassen, als gälte es, die alte Wahrheit zu beweisen, dass nur die Augen des Zugewanderten klar sehen. Der vierte Band ihrer Abenteuer ist bereits abgekündigt; ich bin gespannt!

Gian Maria Calonder: «Engadiner Abgründe». Kampa-Verlag, Zürich, 2018, 221 Seiten, ISBN 978-3-311-12003-2

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