Vom schönen, seltenen Blau

 

 

 

 

Irgendwer hatte mir während einer Diskussion zugeraunt: Übrigens BLAU, dieses Buch würde Dir sehr gefallen, und aus dem Zusammenhang heraus ging ich von einem Buch übers Meer aus, denn was könnte überwältigender blau sein als das Meer? Und was könne mich mehr interessieren als alles, was mit der Lebenswelt von Fischen zu tun hat? Also bestellte ich mir das Buch, out of the blue sozusagen, und entnahm bald darauf einem Paket ein seltsames Ding, weder Blau noch Violett, jedenfalls für mich nicht, eher eine Beleidigung für meinen Farbsinn im allgemeinen noch gar für Blau, eine meiner Lieblingsfarben. 

Und da war ich schon mittendrin. Was ist Blau? entpuppt sich rasch als spannende Frage. Überraschend der Befund, dass die menschliche Wahrnehmung von Grundfarben interkulturell erstaunlich übereinstimmt, allen früheren rassistisch angelegten Theorien zum Trotz, welche primitiven Völkern die Fähigkeit absprachen, Grün und Blau zu sehen. Ich hingegen hatte immer vermutet, eine bestimme Farbe so und nicht anders zu bezeichnen, sei nichts anderes als das Ergebnis einer jahrtausendelangen kulturellen Beeinflussung, die zumindest bei mir selber nicht durchschlagend erfolgreiche gewesen sei, da ich Farbnuancen oft etwas anders sehe oder bezeichne als andere Menschen, und ich hatte schon lange die Idee, den Nuancen in einer repräsentativen Stichprobe mal auf den Grund zu gehen. Wo endet für Dich Grün und beginnt Blau, und ab wann wird es zu Violett? Was bezeichnest Du noch als Orange, und ab wann ist eine Nuance für Dich Rot? Et cetera. 

Aber ich kann ja gar nicht alles studieren in einem einzigen Leben. Darum gibt es Bücher von klugen Menschen, die einer Frage nachgegangen sind und davon berichten. Zum Beispiel der in molekularer Biomedizin ausgebildete Wissenschaftsautor Kai Kupferschmidt davon, was Farben und besonders die blauen wirklich sind. Ich liege gemütlich auf meinem Bett, lese und staune über alles das, was ich täglich um mich herum sehe und von dem ich keine Ahnung hatte, vor allem nicht davon, warum ich es so sehe, geschweige denn, warum ich etwas nicht sehe. Blau zum Beispiel, weil es in der Natur seltener vorkommt als andere Farben – die Blaue Blume der Romantiker blieb nicht von ungefähr ein ziemlich unerreichbarer Traum, auch wenn Wissenschafter seit vielen Jahren daran arbeiten, eine wirklich blaue Rose hervorzubringen; das Resultat ähnelt bisher eher dem Umschlag dieses Buchs: Man weiss, dass Blau gemeint war, wenn man’s weiss.

Dabei hat sich die Natur geniale Dinge einfallen lassen, um Blau hervorzubringen. Bei Insekten und Vögeln etwa Strukturen im Nanobereich, die geschickt verschachtelt dazu führen, dass vom eintreffenden Licht alle Farben ausser Blau absorbier werden, so dass  nur Blau reflektiert wird – die Tiere selber sind überhaupt nicht blau; aber tote Käfer bestimmter Arten strahlen auch nach Jahrtausenden noch in wunderbarstem Blau, weil die winzigen Strukturen an ihrer Oberfläche unzerstört blieben. Überhaupt ist kein Lebewesen und kein Ding wirklich blau oder rot oder irgendwie gefärbt, sondern in seiner Oberfläche so beschaffen, dass es Licht bestimmter Wellenlängen absorbiert und jenes anderer Längen abgibt. Es gibt nichts Blaues, nicht mal das Meer, vom Himmel ganz zu schweigen; es gibt nichts Farbiges irgendwo, und doch zeigt sich uns die Welt in allen Regenbogenfarben. Jedenfalls uns Menschen; andere Tiere sehen ein anderes Spektrum oder ein engeres, nach allem, was wir heute zu wissen glauben – aber was sehen eigentlich Pflanzen, für wen erscheinen sie in Farben, wenn nicht auch für sich selbst?

Fragen über Fragen. Ich verstehe längst nicht alles, doch tröstet mich der Autor mit dem Satz, dass er selber, mit molekularen und vermutlich noch weiteren kleinsten Dingen besser vertraut als ich, nicht alles verstehe. Was ich verstehe, ist genug, um noch mehr zu staunen. Und das ist wohl auch der Sinn dieses Buchs, geschrieben von einem, der von Blau schon immer fasziniert war und dessen Geheimnis seit langem auf die Spur kommen wollte. Der Bericht seiner Reise durch die Phänomene dieser Welt hat mich sehr berührt. 

Kai Kupferschmidt: «BLAU. Wie die Schönheit in die Welt kommt». Hoffmann und Kampe, 2019. 235 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-455-00639-1

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