Von Aalen und Menschen

Ich kann mich an kein Buch über eine Fischart erinnern, das mich je derart berührt und begeistert hat. Das «Evangelium» im Titel mag zunächst irreführen. Was der schwedische Kulturjournalist Patrik Svensson auf 253 Seiten ausbreitet, ist randvoll von wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Lebenszyklus dieser Fische, die in der fernen Sargassosee östlich von Florida als kleine Larven an der Oberfläche auftauchen, sich von den Strömungen an die europäische Küste treiben lassen, als junge Glasaale in die Flüsse aufsteigen und dort in Gewässern oft viele Jahre lang im Verborgenen leben, bis sie eines Tages den Drang verspüren, die weite und beschwerliche Reise zurück an ihren Ursprungsort auf sich zu nehmen, um sich dort zu paaren und zu sterben. 

Viel weiss man mittlerweile über die Aale, dank zahlreichen Forschern, die oft ein Leben lang versuchten, den Geheimnissen dieser Spezies auf die Spur zu kommen – viel weiss man, aber eben nicht alles. Ausgerechnet der Aal, diese wenig attraktive, für manche gar abstossende Art – ist sie überhaupt ein Fisch? Über Lachse, Forellen, Hechte oder Karpfen scheint man alles zu wissen. Aber bis heute ist ungeklärt, wie sich Aale paaren, ob überhaupt, und wo genau in der Sargassosee. Auch andere Geheimnisse hat der Aal bis heute nicht preisgegeben, so etwa, warum seine Bestände derart dramatisch geschrumpft sind.

Das Nichtganzwissen lässt den Autor über Wissenschaft und Glauben nachdenken, über unser Verhältnis zur Natur und darüber, was es bedeutet, wenn eine Art verschwindet. So lässt sich Svenssons Buch lesen als liebevolle Einführung in die Biologie am Beispiel des Aals, als Kulturgeschichte von Regionen, für die der Aal wirtschaftlich wichtig war, als philosophische Abhandlung über den Sinn – gibt es überhaupt ein Warum in der Natur? – und als Geschichte seiner eigenen Jugend in Südostschweden, wo er nachts oft mit seinem Vater auf Aalfang gegangen war. All diese Ebenen und Erzählstränge sind auf eine so wundervolle Weise verwoben, dass man das Buch kaum mehr weglegen mag – und auf der letzten Seite bedauert, dass es schon zuende ist.

Das Wissenwollen, das Nichtalleswissenkönnen und das Überbrücken der Wissenslücken durch das Glauben ziehen sich wie rote Fäden durch Svenssons ruhiges Berichten und Nachdenken über den Aal, die Welt und die Menschen. Die Rätsel bleiben, doch die Lektüre schenkt auch reiches Wissen, aufgefrischtes wie neues, und fördert die  Ahnung von einer Wahrheit hinter den Dingen, die sich uns wohl nie ganz wird zeigen können.

Patrik Svensson: Das Evangelium der Aale. Hanser, München 2020. ISBN 978-3-446-26584-4

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