Versuch einer Buchbesprechung
Am 15. November 2014 ist der Mann gestorben, der am 9. Dezember 2015 beste Aussichten gehabt hätte, vom Parlament als Sprengkandidat in die Schweizer Regierung gewählt zu werden, gegen die unglaublich unwählbaren drei Kandidaten, die seine eigene Partei auf den Schild gehoben hatte mit der Drohung, jedes andere Parteimitglied auszuschliessen, wenn es vom SVP-Diktat erzürnten Parlament in den Bundesrat gewählt werden und die Wahl annehmen sollte. Ich bin überzeugt, er hätte die Wahl angenommen und sich vom Donnerwetter der Parteiführung nicht beirren lassen. Am Ende wäre er vermutlich nicht einmal aus der SVP ausgeschlossen worden; denn die Hardliner hätten damit rechnen müssen, dass ein derartiger Affront gegenüber dem wohl beliebtesten SVP-Politiker die Partei spalten würde.
Schon deswegen ist es traurig, dass er im Alter von 62 Jahren sterben musste. Er hätte einen prächtigen Bundesrat abgegeben, einen, auf den man hätte stolz sein können, auch ohne das Heu auf der gleichen politischen Bühne zu haben wie er. Einer wie der frühere SVP-Bundesrat Adolf Ogi, ebenfalls aus einfachsten Verhältnissen und ohne Studium aufgestiegen, aber fähig zu raschem Denken und knappen, treffenden Sprüchen, die rasch in den allgemeinen Sprachschatz übergingen.
Von This Jenny ist die Rede, Bauunternehmer, Arbeitgeber, Familienmensch, Kollege, Sportler, Menschen- und Hundefreund, unermüdlicher Macher und begnadeter Netzwerker, Glarner Gemeinde- und Kantonsrat, Präsident der SVP des Kantons Glarus und schliesslich Ständerat. Jenny war für seine eigene, gradlinige Haltung schon lange bekannt, er liess sich auch von den Gurus seiner Partei nicht den Mund verbieten, weder von Übervater Blocher noch von dessen Vasallen.
Genau das hatte ich an ihm aus der Distanz des Zeitungslesers geschätzt: den aufrechten Gang. Seine tödliche Krebserkrankung und sein öffentlich geäusserter Wille, zu gehen, bevor er zur Belastung für sich selbst und alle würde, hatten mich betroffen gemacht. Am 15. November 2014 hat er seinem Leiden mit Exit ein Ende gesetzt.
Als ich vor wenigen Wochen im Newsletter des Wörterseh Verlags die Ankündigung des Buchs «This Jenny, ein reiches Leben» entdeckte, musste ich das Buch so schnell wie möglich haben. Seit der Lektüre weiss ich: Ja, das wär der Beste für den Bundesrat gewesen aus dieser rechten Partei, deren autoritäres, reaktionäres Gebaren so gar nicht zu ihm passte. Und er hätte die Wahl bestimmt gewonnen, das wird aus all den Nachrufen und Reminiszenzen von Angehörigen, Freunden und Kollegen, die in diesem Buch versammelt sind.
Ich habe etwas Erfahrung mit Nachrufen und kenne die Gefahr der Beweihräucherung. De mortuis nil nisi bene, den Toten schimpft man nicht hinterher. Nein, Jenny wird auf den 160 Seiten kein Dreck nachgeworfen. Aber es gibt neben viel Lob und Anerkennung auch kritische Bemerkungen, etwa von seiner Tochter, die sich mehr Vater gewünscht hätte und vor allem mehr Ehrlichkeit ihr und ihrer Mutter gegenüber, als er eine andere gefunden hatte. Oder von der Ex-Gattin, die als junge Frau von ihren Kolleginnen vor diesem «Schlitzohr» gewarnt worden war und später unter seinem Geltungsdrang litt, der ihn abends immer öfter in Amt und Würden und fern von der Familie trieb. Oder von einem Kollege aus dem Gemeinderat, der sich erinnert, wie Bauunternehmer Jenny als Präsident der Baukommission seine beiden Hüte zwar wohl auseinander gehalten habe, die Regeln bei der Baubewilligung für sein eigenes Haus aber mit einem Augenzwinkern flexibel anzuwenden wusste.
Nein, der Schatten, den diese Ausnahmeperson fast zwangsläufig warf, wird hier nicht unter Grabes Erde gekehrt. Das ist eine Stärke dieses Buchs, das über einen Menschen aus einunddreissig verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Oft wiederholen sich dabei Geschichten und Begebenheiten, aber mit einer bereichernden, vertiefenden Redundanz, weil jedesmal eine etwas andere Farbe zum Bild hinzukommt, so dass man sich mit fortschreitender Lektüre des Eindrucks nicht erwehren kann, This Jenny luge in 3D zwischen den Seiten hervor und lächle verschmitzt; und schon vermeint man einen träfen Spruch von ihm zu hören, mit donnernder Stimme, aber freundlich, verbindlich, um sich gleich danach nach dem Befinden seines Gegenübers zu erkundigen, das er immer mit «Du» ansprach, unbekümmert um die Stellung des andern.
Ich hätte This Jenny gerne näher gekannt als nur von fern, als Lesender.
Und nein, ich verrate keine Einzelheiten. Ihr sollt ja das Buch kaufen, der kleine feine Wörterseh-Verlag hat das verdient. Und wenn das nicht nicht reicht: Ein Kapitel über Jennys schwere Kinderjahre gibt’s hier als Auszug. Wer weiss, woher der stammt, der einer der besten Bundesräte unserer Zeit hätte werden können, wird nach diesem einen Kapitel ahnen, warum er’s gewesen wär.
Wörterseh Verlag, Zürich, 2015, 192 Seiten,
gebunden, ISBN: 978-3-03763-061-7