Der Schweizer Journalist Beat Stauffer kennt den Maghreb seit vielen Jahren und berichtet über den vorwiegend arabischen Norden Afrikas immer wieder in der NZZ und auf Schweizer Radio SRF. Stauffer hat sich dabei auch wiederholt kritisch mit der Migration aus dem Maghreb nach Europa auseinandergesetzt. Nun legt er ein umfangreiches und reich dokumentiertes Buch zum Thema vor.
Die Stärke von Stauffers Buch liegt in der Konzentration auf eine Region, in der er gut vernetzt ist. Natürlich lässt sich die Migration aus Afrika nach Europa nicht auf den Maghreb beschränken; aber die meisten Menschen, die aus Schwarzafrika mit dem Ziel Europa aufbrechen, treffen auf ihrer Wanderung früher oder später in Libyen, Tunesien, Algerien oder Marokko ein, um von dort mit mehr oder weniger Glück auf ein Boot und irgendwie übers Mittelmeer nach Norden zu gelangen. Stauffer skizziert diese Routen quer durch Afrika und deren Gefahren und Ungewissheiten, vor allem aber liefert er Bilder vom Schicksal der Menschen, wenn sie es denn aus ihrer Heimat südlich der Sahara bis in den Maghreb geschafft haben: Eine Existenz irgendwo zwischen ein wenig Solidarität und extremer Ausbeutung, stets auf der Hut vor Übergriffen oder vor der Abschiebung zurück nachhause.
Hauptsächlich widmet sich Stauffers Buch aber der ungeregelten Migration aus den Ländern des Maghreb selbst, die in diesem Jahrzehnt massiv zugenommen hat. Gründe auszuwandern gab es im Maghreb schon zuvor: vor allem die Perspektivlosigkeit junger Menschen in einer patriarchalen, bürokratisch verkrusteten Gesellschaft. Das Aufbegehren dagegen entfachte den «Arabischen Frühling»; dessen Scheitern zerstörte die Hoffnungen auf eine Zukunft im eigenen Land. Für viele Maghrebiner wiegt die Aussichtslosigkeit zuhause weit schwerer als die Gefahren der Fahrt übers Mittelmeer und die Ungewissheiten nach der Ankunft in Europa. Und die Regierenden im Maghreb sind gar nicht unglücklich über den Exodus frustrierter und damit potenziell gefährlicher junger Männer.
Für Stauffer sind zwei Dinge klar: Erstens kann Europa nicht beliebig viele Millionen Menschen aus Afrika aufnehmen, ohne dabei genau das aufs Spiel zu setzen, was die Menschen anzieht. Zweitens aber ist Europa durch seine Geschichte und durch seine Vorteile verpflichtet, die Verhinderung ungeregelter Zuwanderung so menschlich als möglich zu gestalten – und vor allem in den Herkunftsländern mitzuhelfen, dass immer weniger Menschen auswandern müssen. Eine vorsichtig pragmatische Haltung zwischen sturer Fremdenfeindlichkeit und naiver Grenzöffnung. Stauffer weist darauf hin, dass die Fortsetzung der ungeregelten Migration das historisch eh schon schwierige Verhältnis zwischen dem Maghreb und Europa noch mehr belasten würde. Er setzt dagegen die Vision von einer wirklich partnerschaftlichen Zusammenarbeit rund ums Mittelmeer, bei welcher der Maghreb mehr erhalte als bloss die Rolle des vorgelagerten Grenzpolizisten Europas. Voraussetzung dafür ist, so Stauffer, ein Ende der Unehrlichkeit beidseits des Mittelmeers im Umgang mit der Migration, ihren Gründen und Folgen.
Stauffers kommt zu ähnlichen Schlüssen wie schon im Jahr zuvor Stephen Smith in seinem Buch «Nach Europa!»; aber im Gegensatz zum vorsichtig optimistischen Ton bei Smith lässt einen «Maghreb, Migration und Mittelmeer» eher etwas ratlos zurück. Das liegt wohl auch daran, dass Stauffer uns derart tief in die Gegebenheiten einer bestimmten Region führt, und in die passive europäische Haltung ihr gegenüber, dass es schwer fällt, sich vorzustellen, wie sich hieraus eine echte Partnerschaft entwickeln soll. Dass sie absolut notwendig ist, das allerdings macht die spannende Lektüre unmissverständlich klar.
Beat Stauffer: «Maghreb, Migration und Mittelmeer. Die Flüchtlingsbewegung als Schickalsfrage für Europa und Nordafrika». Verlag NZZ Libro, Zürich, 2019, 320 S., ISBN 978-3-03810-363-9