Der Wissenschaftsjournalist Beat Glogger legt einen spannungs- und lehrreichen Science-Thriller vor, der auf dem neusten Stand der Wissenschaft und auf privaten Erfahrungen beruht, den Bogen jedoch in unbekanntes Gebiet spannt, genauer: überspannt, jedenfalls aus der Rückschau der Hauptperson betrachtet.
Tina Benz, eine selbstbewusste und durchsetzungsstarke Frau vom herben Charme einer Lisbeth Salander aus Stieg Larssons Millenium-Trilogie versteht es, den international führenden Neurowissenschafter Frank Stern trotz dessen expliziter Abneigung so von sich zu fesseln, dass er sie schliesslich als Studentin an seinem Institut akzeptiert, wo sie dank ihrer engagierten und herausragenden Arbeit rasch eine führende Rolle übernimmt, zu Sterns rechter Hand avanciert und ihm auch privat sehr nahe kommt. Letzteres ist in der Folge von Gloggers rasanter Erzählung entscheidend. Eines abends spät findet Benz vor dem Institut, in welches sie einer wichtigen Entdeckung wegen von Stern gerufen wurde, diesen mehr tot als lebendig vor, nebst ihrem autistischen Bruder, der eigentlich ohne ihre Begleitung nicht hier sein dürfte, schon gar nicht um diese Zeit. Verzweifelt versucht Benz, ihren Chef und Partner unter Mithilfe ihres Bruders wieder zu beleben, wird dann aber von der herbeieilenden Polizei in Gewahrsam genommen und unter dem Verdacht, mit Stern Zustand etwas zu tun zu haben, festgehalten und verhört. Immerhin, hört sie, Stern habe überlebt – was auch immer das heisst.
Als Benz endlich freikommt und den bewusstlosen Stern im Spital besucht, findet sie heraus, dass er sich in einem Wachkoma befindet, und setzt schliesslich durch, dass sie Tag und Nacht bei ihm verbringen darf, mitsamt dem technischen Inventar aus dem Institut, das es ihr ermöglicht, mit Stern allmählich eine Kommunikation aufzubauen, erst nur Ja-Nein-Antworten, schliesslich bis zu komplexen Gedankengängen, in deren Verlauf Stern die finale Idee entwickelt, für deren Umsetzung er ganz auf das Wissen und die Liebe von Benz angewiesen ist, genauer: darauf, dass sie sich aus Liebe und Verzweiflung dazu ausnützen lässt.
Stern beschliesst, offiziell sterben, sein Gehirn aber soll weiterleben, im Geheimen sauber ausgeweidet und präpariert von einem alten Kollegen und gewissenhaft in einem Labor im Institut von Benz umsorgt. Dort will er mit ihr seine Experimente als reines Hirn vorantreiben und treibt sie damit zusehends an ihre eigenen Grenzen und über jene ihrer Liebe hinaus. Sie kann den drängenden Fragen immer weniger ausweichen, weder den ethischen noch jenen, was denn ein Lebewesen ausmache; gleichzeitig leidet sie unter der Veränderung in Sterns Verhalten ihr gegenüber, sie empfindet es als barsch, kalt, bar der einstigen Kollegialität und Herzlichkeit. Als ein Zwischenfall das zweite Leben Sterns abrupt beendet, packt Benz die Gelegenheit, bricht mit ihrem Bruder aus, zieht ohne Spur zu hinterlassen an einen fernen Ort, wo sie sich ein einfaches Leben in Ruhe einrichtet.
Beat Glogger schätze ich als wachen Naturwissenschafter, der komplexe Sachverhalte als Journalist verständlich darzulegen vermag, eine unabdingbare Voraussetzung für eine halbwegs demokratische Auseinandersetzung über das, was Forschung soll und was an Erkenntnissen angewendet werden darf. Im grösseren Format, wie es ein Roman anbietet, führt er diese Auseinandersetzung sozusagen exemplarisch an sich selber vor: Wie kann Wissenschaft schwer Behinderten und ihren Nächsten zu einem sinnvollen Leben verhelfen, und wie weit dürfen wir dabei in unseren Ansprüchen gehen? Wir kommen nicht darum herum, uns über eine Grenze zu verständigen. Nur im Roman darf die Grenze zwischen Fakten und Fiktion unklar bleiben.
Beat Glogger: «Zweimaltot». Friedrich Reinhardt Verlag, Basel, 2019, Taschenbuch, 278 S., 978-3-7245-2324-6