Doppelt verloren – und gewonnen

 

 

 

Der deutsche Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt folgte 2017 seiner vor Jahren entflammten Liebe zur Algarve, der südlichsten der sieben Regionen Portugals. Er erfand dafür einen Trick in der Person von Leander Lost, autistischer Kriminalkommissar in seiner Heimatstadt Hamburg, der dank der Laune einer unterbeschäftigten und um ihren Job fürchtenden Interpol-Mitarbeiterin in deren Austauschprogramm für ein Jahr nach Faro versetzt wird, der Hauptstadt der Algarve, und der das Glück hat, in einem lauschigen Häuschen im weiter östlich gelegenen Küstenstädtchen Fuseta einquartiert zu werden. Und schon kann der Spass beginnen, genauer: der manchmal nicht ganz unblutige Ernst des Lebens.

Nicht die fremde Sprache ist Losts Problem; dank einer der besonderen Gaben von Asperger-Patienten (oder sind die gesund und die Normalen krank?) hat er sich Portugiesisch noch in Hamburg in drei Wochen soweit angeeignet, dass ein alter, seit ein paar Jahren berufsbedingt auf einen Rollstuhl angewiesener Polizeichef lobt: «Sie reden gut Portugiesisch», was Lost in seiner unnachahmlich direkten Art erwidert: «Sie aber auch.»

Losts Problem ist das selbe, das er bereits in Hamburg nicht zu lösen vermochte: Er kann nicht verstehen, was Sätze bedeuten sollen, die nur der Höflichkeit halber gesagt werden, noch kann er mit Lügen umgehen; er nimmt alles Wort für Wort. So gestaltet sich die Zusammenarbeit mit seinen beiden neuen Kollegen, den Sub-Inspektoren Graciana Rosado und Carlos Esteves, zunächst hürdenreich. Dafür kann Lost auf seine Art Situationen blitzschnell erfassen und lösen, die andern unzugänglich bleiben. Das kann auch ganz unerwartet enden, zum Beispiel, wenn er Esteves, der von einem Gangster als Geisel und Schutzschild missbraucht wird, mit einem Schuss ins Bein zu Fall bringt, um freie Schussbahn auf den Gangster zu kriegen. Das endet mit der Heimsendung Losts, die glücklicherweise im letzten Moment von Graciana vereitelt wird, genauer von deren Schwester Soraia, die als Erzieherin weiss, was Aspergers können (zum Beispiel sich fotografisch genau an unzählige Details erinnern), und die auch aus andern Gründen Lost nicht schon wieder ziehen lassen möchte.

Und so nehmen die verwinkelten Ereignisse und deren Ermittlung ihren wilden und dank Lost schliesslich erfolgreichen Lauf, nicht immer lege artis, sondern auch mal unter Zuhilfenahme einer erflunkerten Dienstanweisung 240, die der notorische Nichtlüger Lost für bare Münze nimmt, dem Team aber massives Ungemach bereitet, bis zum Abzug vom Fall. Für den Abzug sorgte die Demarche des Schweizer Managers einer Schweizer Firma (sie heisst im Roman etwas anders), die sich unlängst die Wasserversorgung der Region via Röhre und via Plastikfalschen unter den Nagel gerissen hat und sich nicht in die arg gezinkten Karten blicken lassen will; ein paar Neugierige haben das bereits mit ihrem Leben bezahlt…

Die Geschichte lebt von ihren liebevoll dargestellten, prallen, etwas schrägen Figuren, eingebettet in eine wunderbare Grossfamilie und umgeben von Halbschuhen und Halunken in- und ausserhalb der lokalen Polizei – spannend, manchmal fast atemlos erzählt. Das Handwerk ist ganz offenkundig am Drehbuch geschult. Die sprachliche Feinheit leidet gelegentlich ein wenig darunter; vom Lektorat hätte man sich den einen oder andern kosmetischen Eingriff gewünscht; aber abgesehen davon: gut erfunden, grosses Kino und ein echter Lesegenuss! Mitsamt einer gehörigen Portion Heimweh nach einer Region, die auch ich liebe, Land wie Leute.

Der Erfolg von «Lost in Fuseta» war so gross, dass Gil Ribeiro, wie sich der Autor für diesen Krimi nennt, und sein Verlag sich entschlossen haben, die Geschichte in Serie fortzusetzen, jährlich eine neue Folge. Die vierte erscheint im Mai 2020, und gottlob darf Lost auch nach Ablauf des Austauschjahres in der Algarve bleiben – was würde aus uns Lesenden ohne weitere Fortsetzungen?

Gil Ribeiro: «Lost  in Fuseta». Kiepenheuer & Witsch, 2017, KiWi-Taschenbuch, 389 S., ISBN 978-3-462-05162-9

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