Weit gehen. Einmal rund um die Erde, und stets auf der Erde, also ohne zu fliegen. Und sich dafür alle Zeit lassen, drei Jahre (2013-2016) bis zur Heimkehr, und nicht in kurzen 80 Tagen wie in Jules Vernes seinerzeitigen Vorstellung. Als Paar unterwegs mit nichts als dem, was sich tragen lässt, wenn man zu Fuss gehen will oder muss, falls mal kein Auto kommt und einen ein Stück weiter mitnimmt.
Ich sitze da und schau gebannt in diesen Film, zwei Stunden lang, und würd am liebsten gleich mitziehn, unterwegs sein, unbekannten Menschen begegnen und weiterziehend sie als Freunde zurücklassen, immer weiter, neugierig und nicht wissen, was morgen sein wird… Da waren einst so viele Ideen. Mit den Kindern im Zirkuswagen durch die Welt ziehen. Mit spätestens 70 von Nordafrika bis Sibirien trampen. Es blieben Träume, es blieb vorwiegend bei Reisen in ferne Landschaften mit dem Finger auf der Landkarte. Und doch ist es möglich, ich freue mich für die beiden, hab ihre Reise und all ihre Begegnungen genossen, als wär ich dabei gewesen.
Ich glaube, genau darum «funktioniert» dieser Film und hat in Deutschland derart viele Menschen erreicht. Es ist nicht allein der Bilderreichtum wie in einem Kaleidoskop, die gut geschnittene Abfolge wunderbarer Bilder aus ganz verschiedenen Lebenswelten, bunt und heftig, dann wieder ruhig und pastell und endlos; es ist vor allem der tief schlummernde Traum in uns, den Gwendolin Weisser und Patrick Allgeier in und mit ihrem wundervollen Film wachrufen, und sei’s bloss, dass wir zwei Stunden lang verzaubert mitgehen, einmal im Leben alles zurücklassen und einfach drauf los ins Ungewisse.
Für mich ist dieser Film ergreifend zärtlich, humorvoll, behutsam, voller Staunen und Vertrauen im täglichen Begegnen mit neuen Gesichtern und unerwarteten Situationen. Man erlebt zuschauend einen Zustand grosser Freiheit, ein Schweben zwischen nah und fern. Zudem ist der Film eine schön und selber erzählte Geschichte von zwei Menschen, die nicht nur reisend als Paar wachsen, sondern dabei auch Eltern werden und nach der Geburt ihres ersten Kindes vom Trampen auf das Reisen im eigenhändig hierfür hergerichteten VW-Bus umsteigen, den sie vor der Überfahrt aus Lateinamerika nach Spanien wieder verkaufen, um dann den Rest des Heimwegs bis nach Freiburg zu Fuss und mit einem einrädrigen Handwagen fürs Gepäck zurückzulegen.
Es fiel mir schwer, nach zwei Stunden schon wieder Abschied nehmen zu müssen von Gwen und Patrick und all den Erinnerungen an Landschaften und Menschen, und natürlich hab ich mich gefragt, was die beiden nach 2017, als ihr Film erschienen war und Furore machte, heute denn treiben, wie sie leben. In einem schönen Gespräch mit dem Podcast der Badener Zeitung entwickelten sie ihre Gedanken. Aus der Erfahrung ihrer Reisen haben sie zusammen mit Freunden das Projekt Terran entwickelt, mit dem sie andere Menschen dafür gewinnen möchten, Reisen lieber ohne Flugzeug zu planen. Und mit Freunden zusammen suchten und fanden sie eine grosse Liegenschaft in Kirnhalden zwischen Freiburg und Offenburg, um hier gemeinsam zu leben. Da möcht ich gleich nochmals jung sein! Aber ich geniesse mein fortgeschrittenes Alter samt der Erinnerung an alles, was ich selber gemacht hab, und freue mich, dass unsere teils realisierten, teils gescheiterten Träume von damals auch heute noch von jungen Menschen geteilt und vielleicht erfolgreicher gelebt werden.
Patrick Allgaier und Gwendolin Weisser: «Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt.» Deutschland, 2017. Auf der Film-Website kann der Film im Shop gekauft oder gemietet werden. Hin und wieder läuft er auch im Fernsehen, so z. B. bis 22.01.2025 auf 3Sat3.