Werner Herzogs Kaspar Hauser

02. April 2022

Videostill aus dem Film

Was für ein feiner Film, was für schön sich einprägende Bilder, wie viel Mitmenschlichkeit in einer Zeit, in der wir sie weniger vermutet hätten als heute, wo’s doch jetzt schon schlimm genug ist…

Werner Herzogs frühen Film über die Geschichte von Kasper Hauser hab ich damals 1974 verpasst und danach vergessen; dank Veit Stauffers Hinweis hab ich ihn jetzt endlich gesehen und bin sehr begeistert vom Spiel, der Darstellung und immer wieder von den Bildern. Die spanischen Untertitel – gesprochen wird Deutsch – in der einzigen in voller Länge auf YouTube verfügbaren Version vermögen den gewaltigen Eindruck nicht zu schmälern.

Von Aalen und Menschen

25. August 2021

Ich kann mich an kein Buch über eine Fischart erinnern, das mich je derart berührt und begeistert hat. Das «Evangelium» im Titel mag zunächst irreführen. Was der schwedische Kulturjournalist Patrik Svensson auf 253 Seiten ausbreitet, ist randvoll von wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Lebenszyklus dieser Fische, die in der fernen Sargassosee östlich von Florida als kleine Larven an der Oberfläche auftauchen, sich von den Strömungen an die europäische Küste treiben lassen, als junge Glasaale in die Flüsse aufsteigen und dort in Gewässern oft viele Jahre lang im Verborgenen leben, bis sie eines Tages den Drang verspüren, die weite und beschwerliche Reise zurück an ihren Ursprungsort auf sich zu nehmen, um sich dort zu paaren und zu sterben.  Weiterlesen »

Vom schönen, seltenen Blau

28. Februar 2021

 

 

 

 

Irgendwer hatte mir während einer Diskussion zugeraunt: Übrigens BLAU, dieses Buch würde Dir sehr gefallen, und aus dem Zusammenhang heraus ging ich von einem Buch übers Meer aus, denn was könnte überwältigender blau sein als das Meer? Und was könne mich mehr interessieren als alles, was mit der Lebenswelt von Fischen zu tun hat? Also bestellte ich mir das Buch, out of the blue sozusagen, und entnahm bald darauf einem Paket ein seltsames Ding, weder Blau noch Violett, jedenfalls für mich nicht, eher eine Beleidigung für meinen Farbsinn im allgemeinen noch gar für Blau, eine meiner Lieblingsfarben.  Weiterlesen »

L’Avventura

17. Februar 2021

Dieser Spielfilm von Michelangelo Antonioni aus dem Jahr 1960 erzählt die an sich beliebige und insofern völlig uninteressante Geschichte eines Liebesabenteuers in der jungen Generation der italienischen Bourgeoisie zur Zeit des industriellen Wiederaufschwungs nach dem zweiten Weltkrieg. Wie auch in anderen seiner Filme zeichnet Antonioni ein schonungsloses Bild der inneren Orientierungslosigkeit vor einer modern-kalten Kulisse scheinbaren Fortschritts – so später vor allem in «L’Eclisse» (1962), der die «Trilogie der Kontaktunfähigkeit» abschliesst, zu der «La Notte» (1961) sowie eben «L’Avventura» gehören, und in «Deserto Rosso» (1964), alle drei mit der unvergleichlichen Monica Vitti in Hauptrollen.

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Dank Münchhausen aus dem Sumpf

08. Januar 2021

 

 

 

Sich wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen gehört seit langem zu meinen beliebten Wortwendungen. Als Bub verschlang ich die legendären Geschichten von oder über Münchhausen; dieses eine Bild hat sich mir früh eingeprägt, viel nachhaltiger als etwa des Edelmanns filmreifer Ritt auf der Kanonenkugel: Mit der Kraft des eigenen Willens kann es also möglich sein, einer ausweglosen Situation zu entkommen, wenn auch kaum so plakativ wie der Lügenbaron.

Mehr wusste ich nicht über diese wohl (selbst-) erfundene Figur, bis ich von Tina Breckwoldts Buch hörte. Weiterlesen »

Plötzlich so unstill am See

07. Januar 2021

 

 

 

Das beschauliche Konstanz am Bodensee, in grauer Vorzeit Austragungsort eines Jahre dauernden Konzils, von dessen ganz unkatholischen Verlustierungen ein frivoles Kunstwerk am Hafen zeugt, wird aus heiterem Himmel zum Schauplatz der Apokalypse. Dabei schien alles so wohlvorbereitet für eine grosse Kundgebung der Klimajugend in der Universitätsstadt, mit einer Ansprache der deutschen Greta als Höhepunkt. Den aber setzten finstere Kräfte: Schwerbewaffnete Rechtsextreme, die unvermutet aus ihren Verstecken auf den Plan traten mit der Absicht, den Anlass zu zerstören und die mediale Wirkung für ihre brutale Botschaft zu nutzen. Weiterlesen »

Liebe und Treue in Kriegszeiten

06. Januar 2021

 

 

 

 

 

Niemand kann alles lesen, kaum ist es erschienen. Darum sind Bücher eine wahre Rettung – ich kann sie auch viel später lesen, wenn sie zum Klassiker geworden sind, so wie Alex Capus’ Roman «Léon und Louise», auf den ich erst Jahre nach dessen Erstauflage zufällig aufmerksam geworden bin. Was der Autor hier ausbreitet, ist ein über die beiden Weltkriege hin angelegter Bilderbogen, der die Schrecknisse und Wirrnisse aus der Perspektive eines Manns und einer Frau schildert, die sich jung verlieben und aller erzwungenen Trennungen und persönlichen Verstrickungen zum Trotz bis ans Ende ihres Lebens nie verlieren.

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Selber Kochen als Akt der Selbstbehauptung

28. November 2020

 

 

 

 

 

Der Buchtitel ist etwas reisserisch, der scheinbar alles Essbare umfassende Untertitel gar irreführend – es geht in Krieners Magenbetrachtungen «nur» um Fleisch und Fisch sowie um deren künstliche Alternativen, als Zugabe zudem um Zucker und Wein. Gemüse, Obst und Getreide – alles nur Beilagen zu toten Tieren? – werden bestenfalls in Nebensätzen erwähnt, vor allem in den Kapiteln, die sich erfrischend kritisch mit Bio-Siegeln und Superfood auseinandersetzen. 

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Engadiner Abgründe

02. August 2020

 

 

 

 

 

Der Jungpolizist aus dem Unterland tritt seine erste Stelle nach der Ausbildung an, und schon am Wochenende vor seinem ersten Arbeitstag kommt der dem König im Tal auf die Schliche. Zwar wird er von seinen Vorgesetzten ausgebremst und vom Dienst suspendiert, bevor er ihn antreten konnte, weil einfach nicht sein kann, was nicht sein darf; aber der Jungpolizist überführt den  Bösewicht derart klar, dass die Polizei gar nicht anders kann, als ihn zu verhaften.

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Afghanisches Epos

13. April 2020
Videostill aus dem Film

Ein gewaltiges Epos über ein Land, das in den vergangenen vierzig Jahren nur Krieg erlebt hat, der stets durch Grossmächte gefördert wurde, bis sie das Land wegwarfen wie einen alten schmutzigen Lappen. Grandiose Landschaften, erhellende Porträts von einzelnen Frauen und Männern, die in Afghanistan eine Rolle spielten, als zerstrittene Kriegsfürsten, Kriegspoeten, Glaubenskrieger oder als Anhängerinnen einer zivilen, laizistischen bis moderat muslimischen Gesellschaft. Berührende, berückende und bedrückende Szenen, manchmal niederdrückend vor Zorn und Scham über das, was unter aller Augen, die es sehen wollten, einem Land, das einigermassen in Einklang mit sich und seiner Umwelt gelebt hatte, in jüngster Zeit und in steter Verletzung des Völkerrechts angetan werden durfte.

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