Ein Berg, ein Buch und ein Korb

03. Dezember 2023

Man muss eben Kaffee trinken. Dank eines Kaffees, lang nicht dem ersten, in der Konditorei Dorbolò zu San Pietro al Natisone, war ich auf das Buch gestossen, von dem an der Theke ein paar Exemplare zum Verkauf auflagen. Und nachdem der Matajur hinter Cividale sozusagen mein heiliger Berg geworden ist, weil ich so ergriffen war, als ich zum erstenmal die unglaubliche Aussicht von dort oben erlebte, rundherum über all die Bergketten vom Veneto übers Friaul und Kärnten bis nach Slowenien und über die Ebene bis nach Udine und bis zum Meer, kaufte ich das Buch. Zum Glück! Was Giuliano Citti, ein vierzigjähriger Älpler und Holzbildhauer weiter hinten im Natisonetal, an alten Geschichten zusammengetragen hat und erzählt, ist von schlichter Schönheit; nicht von ungefähr hat er den diesjährigen Literaturpreis «Settembrini» der Region Venetien gewonnen. 

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Menschenverachtende Herrschaft am Beispiel der Bevölkerung Siziliens

01. Dezember 2023

Die Verlegerin Monika Lustig beschenkt mit ihrer kleinen feinen Edition Converso ein an mediterranen Sprachwelten interessiertes Publikum immer wieder mit Entdeckungen. So zum Beispiel mit zwei Büchern, die das den meisten wohl unbekannte Schicksal der sizilianischen Bevölkerung in zwei verschiedenen Epochen erzählen. Dass die Menschen in Süditalien und vor allem in Sizilien in fast jeder Hinsicht benachteiligt sind, weiss man aus den Medien wohl, dass ausser ihnen die Mafia, die Bürokratie und das römische Polittheater daran schuld, ahnt man. Aber wie kommt es, dass eine vor achthundert Jahren als Königreich unter dem deutschen Stauferkaiser Friedrich II. kulturell führende Region Europas zum zurückgelassenen Armenkind geworden ist?

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Zigeuner darf man nicht mehr sagen. Warum?

27. November 2023

Das ist ein Versuch. Keine Ahnung, ob Facebook oder andere Sittenwächter einen Text ungeschoren lassen, der das Wort «Zigeuner» nicht nur auf dem Cover des besprochenen Buchs, sondern auch im Text enthält. Soweit hat es diese verklemmte Gesellschaft mittlerweile gebracht, dass man einen herabsetzend gedachten Begriff zwar immer noch denken und danach handeln darf, aber sagen oder schreiben, um Himmelswillen nicht!!!

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Gedichte wie Reiskörner, die keimen und spriessen

26. November 2023

Gedichte kann ich nicht. Früher hab ich’s ein paarmal versucht, doch immer wieder verworfen. Kurzgeschichten kann ich, Essays auch; mit meinen lyrischen Versuchen war ich nie zufrieden. Und überhaupt sind mir Gedichte fremd, ich habe selten welche gelesen und – Fried, Majakowski und Pasolini ausgenommen, doch die aus politischen Gründen und vor langer Zeit – nie einen Gedichtband gekauft. Und jetzt trag ich Ruth Looslis Reiskörner seit Monaten mit mir herum, berührt gleich von den ersten Gedichten, die ich las, und tu mich schwer, diesen auch in der Gestaltung wohltuend leisen Band zu besprechen. Darf ich etwas über Gedichte sagen, wenn ich meine eigenen dichterischen Fähigkeiten für unbedeutend halte?
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Rechtlose Indigene, damals und heute

13. März 2023

Willi Wottreng ist ein faszinierendes Buch über den politischen Kampf der Irokesen um staatliche Eigenständigkeit Ihres Bundes der Six Nations gelungen. Der Zürcher bilgerverlag hat es fünf Jahre nach dessen Erscheinen erneut beworben. Denn 2023 «jährt sich zum hundertsten Mal der Besuch des Chiefs Deskaheh in Genf, der mit einer kühnen diplomatischen Mission versuchte, 1923 vom Völkerbund die Anerkennung der Six Nations als von Kanada unabhängiger Nation zu erlangen».

Wottreng erzählt anhand von Dokumenten aus dem rebellischen Blickwinkel meiner Generation. Der Indianer ist nicht mehr der edle Wilde, als der Deskaheh damals in Europa Interesse und Unterstützung in gebildeten Kreisen fand; er verfolgt als politischer Akteur hartnäckig die Sache der Entrechteten.

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Una giornata particolare

03. Februar 2023

Der Spielfilm von Ettore Scola (1977) lebt von den beiden grossartigen Hauptdarstellern Sophia Loren und Marcello Mastroianni und vom abgrundtiefen Kontrast zwischen dem im Hintergrund stets hörbaren Massenaufmarsch anlässlich des Empfangs von Hitler durch Mussolini in Rom (6. Mai 1938) samt dessen Widerhall im laut aufgedrehten Radio der Blockwartin und der leisen, feinen Begegnung zweier im voluminösen Wohnblock zuhause Gebliebener: Die Frau eines faschistischen Beamten, der mit den sechs Kindern zum Umzug aufgebrochen ist, und ein wegen unangepassten Verhaltens entlassener Radiosprecher.

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Cinema Paradiso

22. Dezember 2022


Still aus dem Film mit Philippe Noiret (links) und Salvatore Cascio

Eines Abends hatte ich mich mit A. kurz über zeitgenössische italienische Musik ausgetauscht. Der Name von Ennio Morricone drehte danach noch eine Weile in meinem Kopf herum, ich hörte mich durch ein paar Links auf YouTube und stiess so auf den Film «Cinema Paradiso» aus dem Jahr 1988, den ich damals verpasst hatte. Wer schon neben mir im Kino sass, weiss, dass ich bei Szenen, in denen sich Menschen in Schwierigkeiten befinden, ein ganzes Leintuch statt Taschentüchern benötige. Dieser Film gab mir reichlich Gelegenheit dafür, zumal ich die fast dreistündige Fassung erwischt hatte. 

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Werner Herzogs Kaspar Hauser

02. April 2022

Videostill aus dem Film

Was für ein feiner Film, was für schön sich einprägende Bilder, wie viel Mitmenschlichkeit in einer Zeit, in der wir sie weniger vermutet hätten als heute, wo’s doch jetzt schon schlimm genug ist…

Werner Herzogs frühen Film über die Geschichte von Kasper Hauser hab ich damals 1974 verpasst und danach vergessen; dank Veit Stauffers Hinweis hab ich ihn jetzt endlich gesehen und bin sehr begeistert vom Spiel, der Darstellung und immer wieder von den Bildern. Die spanischen Untertitel – gesprochen wird Deutsch – in der einzigen in voller Länge auf YouTube verfügbaren Version vermögen den gewaltigen Eindruck nicht zu schmälern.

Von Aalen und Menschen

25. August 2021

Ich kann mich an kein Buch über eine Fischart erinnern, das mich je derart berührt und begeistert hat. Das «Evangelium» im Titel mag zunächst irreführen. Was der schwedische Kulturjournalist Patrik Svensson auf 253 Seiten ausbreitet, ist randvoll von wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Lebenszyklus dieser Fische, die in der fernen Sargassosee östlich von Florida als kleine Larven an der Oberfläche auftauchen, sich von den Strömungen an die europäische Küste treiben lassen, als junge Glasaale in die Flüsse aufsteigen und dort in Gewässern oft viele Jahre lang im Verborgenen leben, bis sie eines Tages den Drang verspüren, die weite und beschwerliche Reise zurück an ihren Ursprungsort auf sich zu nehmen, um sich dort zu paaren und zu sterben.  Weiterlesen »

Vom schönen, seltenen Blau

28. Februar 2021

 

 

 

 

Irgendwer hatte mir während einer Diskussion zugeraunt: Übrigens BLAU, dieses Buch würde Dir sehr gefallen, und aus dem Zusammenhang heraus ging ich von einem Buch übers Meer aus, denn was könnte überwältigender blau sein als das Meer? Und was könne mich mehr interessieren als alles, was mit der Lebenswelt von Fischen zu tun hat? Also bestellte ich mir das Buch, out of the blue sozusagen, und entnahm bald darauf einem Paket ein seltsames Ding, weder Blau noch Violett, jedenfalls für mich nicht, eher eine Beleidigung für meinen Farbsinn im allgemeinen noch gar für Blau, eine meiner Lieblingsfarben.  Weiterlesen »