Der Spielfilm von Ettore Scola (1977) lebt von den beiden grossartigen Hauptdarstellern Sophia Loren und Marcello Mastroianni und vom abgrundtiefen Kontrast zwischen dem im Hintergrund stets hörbaren Massenaufmarsch anlässlich des Empfangs von Hitler durch Mussolini in Rom (6. Mai 1938) samt dessen Widerhall im laut aufgedrehten Radio der Blockwartin und der leisen, feinen Begegnung zweier im voluminösen Wohnblock zuhause Gebliebener: Die Frau eines faschistischen Beamten, der mit den sechs Kindern zum Umzug aufgebrochen ist, und ein wegen unangepassten Verhaltens entlassener Radiosprecher.
Una giornata particolare
03. Februar 2023Cinema Paradiso
22. Dezember 2022
Still aus dem Film mit Philippe Noiret (links) und Salvatore Cascio
Eines Abends hatte ich mich mit A. kurz über zeitgenössische italienische Musik ausgetauscht. Der Name von Ennio Morricone drehte danach noch eine Weile in meinem Kopf herum, ich hörte mich durch ein paar Links auf YouTube und stiess so auf den Film «Cinema Paradiso» aus dem Jahr 1988, den ich damals verpasst hatte. Wer schon neben mir im Kino sass, weiss, dass ich bei Szenen, in denen sich Menschen in Schwierigkeiten befinden, ein ganzes Leintuch statt Taschentüchern benötige. Dieser Film gab mir reichlich Gelegenheit dafür, zumal ich die fast dreistündige Fassung erwischt hatte.
Werner Herzogs Kaspar Hauser
02. April 2022Videostill aus dem Film
Was für ein feiner Film, was für schön sich einprägende Bilder, wie viel Mitmenschlichkeit in einer Zeit, in der wir sie weniger vermutet hätten als heute, wo’s doch jetzt schon schlimm genug ist…
Werner Herzogs frühen Film über die Geschichte von Kasper Hauser hab ich damals 1974 verpasst und danach vergessen; dank Veit Stauffers Hinweis hab ich ihn jetzt endlich gesehen und bin sehr begeistert vom Spiel, der Darstellung und immer wieder von den Bildern. Die spanischen Untertitel – gesprochen wird Deutsch – in der einzigen in voller Länge auf YouTube verfügbaren Version vermögen den gewaltigen Eindruck nicht zu schmälern.
Von Aalen und Menschen
25. August 2021Ich kann mich an kein Buch über eine Fischart erinnern, das mich je derart berührt und begeistert hat. Das «Evangelium» im Titel mag zunächst irreführen. Was der schwedische Kulturjournalist Patrik Svensson auf 253 Seiten ausbreitet, ist randvoll von wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Lebenszyklus dieser Fische, die in der fernen Sargassosee östlich von Florida als kleine Larven an der Oberfläche auftauchen, sich von den Strömungen an die europäische Küste treiben lassen, als junge Glasaale in die Flüsse aufsteigen und dort in Gewässern oft viele Jahre lang im Verborgenen leben, bis sie eines Tages den Drang verspüren, die weite und beschwerliche Reise zurück an ihren Ursprungsort auf sich zu nehmen, um sich dort zu paaren und zu sterben. Weiterlesen »
Vom schönen, seltenen Blau
28. Februar 2021
Irgendwer hatte mir während einer Diskussion zugeraunt: Übrigens BLAU, dieses Buch würde Dir sehr gefallen, und aus dem Zusammenhang heraus ging ich von einem Buch übers Meer aus, denn was könnte überwältigender blau sein als das Meer? Und was könne mich mehr interessieren als alles, was mit der Lebenswelt von Fischen zu tun hat? Also bestellte ich mir das Buch, out of the blue sozusagen, und entnahm bald darauf einem Paket ein seltsames Ding, weder Blau noch Violett, jedenfalls für mich nicht, eher eine Beleidigung für meinen Farbsinn im allgemeinen noch gar für Blau, eine meiner Lieblingsfarben. Weiterlesen »
L’Avventura
17. Februar 2021Dieser Spielfilm von Michelangelo Antonioni aus dem Jahr 1960 erzählt die an sich beliebige und insofern völlig uninteressante Geschichte eines Liebesabenteuers in der jungen Generation der italienischen Bourgeoisie zur Zeit des industriellen Wiederaufschwungs nach dem zweiten Weltkrieg. Wie auch in anderen seiner Filme zeichnet Antonioni ein schonungsloses Bild der inneren Orientierungslosigkeit vor einer modern-kalten Kulisse scheinbaren Fortschritts – so später vor allem in «L’Eclisse» (1962), der die «Trilogie der Kontaktunfähigkeit» abschliesst, zu der «La Notte» (1961) sowie eben «L’Avventura» gehören, und in «Deserto Rosso» (1964), alle drei mit der unvergleichlichen Monica Vitti in Hauptrollen.
Dank Münchhausen aus dem Sumpf
08. Januar 2021
Sich wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen gehört seit langem zu meinen beliebten Wortwendungen. Als Bub verschlang ich die legendären Geschichten von oder über Münchhausen; dieses eine Bild hat sich mir früh eingeprägt, viel nachhaltiger als etwa des Edelmanns filmreifer Ritt auf der Kanonenkugel: Mit der Kraft des eigenen Willens kann es also möglich sein, einer ausweglosen Situation zu entkommen, wenn auch kaum so plakativ wie der Lügenbaron.
Mehr wusste ich nicht über diese wohl (selbst-) erfundene Figur, bis ich von Tina Breckwoldts Buch hörte. Weiterlesen »
Plötzlich so unstill am See
07. Januar 2021
Das beschauliche Konstanz am Bodensee, in grauer Vorzeit Austragungsort eines Jahre dauernden Konzils, von dessen ganz unkatholischen Verlustierungen ein frivoles Kunstwerk am Hafen zeugt, wird aus heiterem Himmel zum Schauplatz der Apokalypse. Dabei schien alles so wohlvorbereitet für eine grosse Kundgebung der Klimajugend in der Universitätsstadt, mit einer Ansprache der deutschen Greta als Höhepunkt. Den aber setzten finstere Kräfte: Schwerbewaffnete Rechtsextreme, die unvermutet aus ihren Verstecken auf den Plan traten mit der Absicht, den Anlass zu zerstören und die mediale Wirkung für ihre brutale Botschaft zu nutzen. Weiterlesen »
Liebe und Treue in Kriegszeiten
06. Januar 2021
Niemand kann alles lesen, kaum ist es erschienen. Darum sind Bücher eine wahre Rettung – ich kann sie auch viel später lesen, wenn sie zum Klassiker geworden sind, so wie Alex Capus’ Roman «Léon und Louise», auf den ich erst Jahre nach dessen Erstauflage zufällig aufmerksam geworden bin. Was der Autor hier ausbreitet, ist ein über die beiden Weltkriege hin angelegter Bilderbogen, der die Schrecknisse und Wirrnisse aus der Perspektive eines Manns und einer Frau schildert, die sich jung verlieben und aller erzwungenen Trennungen und persönlichen Verstrickungen zum Trotz bis ans Ende ihres Lebens nie verlieren.
Selber Kochen als Akt der Selbstbehauptung
28. November 2020
Der Buchtitel ist etwas reisserisch, der scheinbar alles Essbare umfassende Untertitel gar irreführend – es geht in Krieners Magenbetrachtungen «nur» um Fleisch und Fisch sowie um deren künstliche Alternativen, als Zugabe zudem um Zucker und Wein. Gemüse, Obst und Getreide – alles nur Beilagen zu toten Tieren? – werden bestenfalls in Nebensätzen erwähnt, vor allem in den Kapiteln, die sich erfrischend kritisch mit Bio-Siegeln und Superfood auseinandersetzen.