Sanft eindringlich für ein anderes Verhältnis mit der Natur

Eine «ungeordnete Kulturgeschichte der Natur» nennt die österreichische Autorin und Lyrikerin Bettina Balàka ihren Essayband allzu bescheiden. Lesend fand ich mich bald gefangen von einer klaren, wenn auch sanften Ordnung des Empfindens und Denkens über das «Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen»; eine ganz anders geartete Ordnung als jene, der die Autorin ihr vermeintlich Ungeordnetes gegenüberstellt.

Die Fragen, die Balàka aufwirft und unaufdringlich eindringlich beantwortet, sind mir in meiner eigenen Arbeit seit Jahrzehnten täglich nah, brennen auch mir unter den Fingern und auf der Zunge. Doch wie Balàka davon schreibt, ist bemerkenswert, nicht zuletzt deswegen, weil sie sich selber nicht herausnimmt und die allmähliche Veränderung im Verhalten zu Pflanzen und Tieren in der eigenen Person vorstellt.

Gleichzeitig treffen Balàkas messerscharfe Formulierungen ohne Vorwurf. Da geht «das Bedürfnis, Ordnung durch Bodenversiegelung herzustellen, einher mit dem komplementären Bedürfnis, der Asphaltwüste der Städte zu entfliehen», schreibt sie im Vorwort, bevor sie uns an der Hand nimmt und in den Widerspruch von Zoobesuch und Kinderschnitzel führt, in die frühe Prägung von uns Kindern zum richtigen Umgang mit der kognitiven Dissonanz: «das Schreckliche, das als das Gute daherkommt».

Nach einer Reise entlang von Spuren von mehr oder weniger Empathie für die Kreatur in der Literaturgeschichte widmet sie sich unserem Verhältnis zu Kraut und Unkraut und zur Zerstörung der Wildnis durch deren Zähmung in Gärten und Stuben. «Das Stadtgartenamt besitzt viele teure und hochwertige Geräte zum Schneiden, Mähen, Trimmen, Fällen, Roden, Fugenreinigen, Laubblasen und Häckseln, die nicht unbenutzt bleiben dürfen, ebenso muss das Personal ja eine Beschäftigung finden. Man kann die Mitarbeiter schwerlich tatenlos auf eine sich selbst regulierende Wiese schauen lassen.» Ähnlich im privaten Garten: «Wenn dann alles perfekt ist, bietet man ein Insektenhotel an, wo auch Wildbienen, Marienkäfer und Schmetterlinge aufgeräumt wohnen können.» Doch «die Natur überrascht immer wieder mit unkooperativen Anpassungsstrategien». Sätze zum Küssen.

Abends gebraten auf dem Teller und anderntags quicklebendig

Am stärksten berühren mich jene Essays, die den Kern meines beruflichen Engagements berühren: das Wohl von Tieren, die zwecks Ernährung von Menschen gezeugt und aufgezogen werden. Auf dem Land aufgewachsen, war das Essen von Tieren für Balàka zunächst «normal», gehörte zum Geschmack der gewohnten Mahlzeiten. Als Kind zum Angeln mitgenommen, empfand sie das «Allerunheimlichste, dass ich mit dem Töten eines Wirbeltieres eine Grenze überschritt (…) Mit jedem Fisch tötete ich auch ein Stück von mir selbst, jenen Teil in mir, der in der Lage war, einen Fisch als Individuum wahrzunehmen». Und als Ferienaushilfe auf einer benachbarten Hühnerfarm wurde sie mit dem Schrecklichen konfrontiert, das in Form von Hühnerfleisch als das Gute auf den Tisch kam: sie war schockiert über das Geschehen hinter verschlossenen Stalltüren. Doch «seit jeher wird dieser Widerspruch über die Erziehung aktiv an die nächste Generation weitergegeben. Kinder sollen a) keine Tiere quälen, b) Fleisch essen». Der Widerspruch jedoch lässt sich nicht auflösen. «So ein Fisch kann sich nicht zersprageln, tagsüber ästhetisch im Meer schwimmen, abends gebraten auf dem Teller liegen und am nächsten Morgen wieder quicklebendig der Unterwasserfotografie dienen.» Noch so ein Satz!

Es hat sich, auch wenn inzwischen die Batteriehaltung verboten ist, für die Hühner wenig zum Besseren verändert, und das gilt auch für alle anderen gezüchteten und gemästeten Tierarten. «Da die natürliche Sexualität der Tiere zu ineffizient erschien, hat der Mensch sich als Massenvergewaltiger dazwischengedrängt.» Und auch wenn dank des unermüdlichen Einsatzes von Tierschützern manche Missstände der Vergangenheit angehören, «der gesellschaftliche Konsens, dass eine zivilisatorische Errungenschaft wie das Verbot der Tierquälerei aus wirtschaftlichen Gründen ausgesetzt werden darf, scheint doch nicht unerschütterlich zu sein». Es bleibt dem Tier nur der Individuelle Rettungssprung, so er denn gelingt. Rührend die Anteilnahme Teil des Publikums, wenn ein Tier auf dem Transport zum Schlachthof ausbüxt, und scheinbar selbstverständlich der kollektive Wunsch, dieses eine Tier möge am Leben gelassen werden; warum aber all die anderen nicht?

Mit der Frage der Ordnung setzen sich die letzten beiden Essays nochmals auseinander: mit der Ordnungsbeflissenheit im musealen Bewahren und Katalogisieren von Naturfunden und mit der von Bibern geschaffenen furchtbar fruchtbaren Unordnung. Was tun wir uns selber an, wenn wir anderen aufzwingen, was wir für ordentlich halten?

Balàka vereint in ihrem Schreiben Wissen, Empfindsamkeit und grosse sprachliche Begabung. Ihre Essays verdienen ein grosses Publikum.

Bettina Balàka: «Vom Zähmen, Ausbeuten und Bestaunen. Eine ungeordnete Kulturgeschichte der Natur». 213 Seiten, gebunden, Haymon Verlag, Innsbruck und Wien, 2024. ISBN 978-3-7039-3

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