Serbien oder was Handke nicht gesagt hat

 

 

Verdankenswerterweise in grosser Schrift versammelt hat Suhrkamp die drei zentralen Texte von Peter Handke zu Jugoslawien. Auch so ist die Lektüre freilich kein Sonntagsspaziergang, nicht allein der Geschehnisse wegen, sondern auch und vor allem wegen der Art, in welcher Handke sich mit ihnen schreibend auseinandersetzt, vorsichtig, fragend, zweifelnd in jedem Satz. Manchmal möcht ich ihn beim Lesen schütteln: Mann, bring’s endlich auf den Punkt, mach die Sätze kürzer, klarer, stell nicht jedes Wort in Frage, kaum schaut es Dir vom Papier entgegen in Deiner Schrift!

Und ja: Es geht Handke um Jugoslawien, nicht um Serbien, das ihm von Kritikern um die Ohren gehauen wird. Handke trauert um Jugoslawien, schon der Buchumschlag könnte einen darauf aufmerksam machen; doch um es wirklich zu verstehen, müsste man seine Texte lesen, mag deren Lektüre noch so quälend sein, und ein wenig Vorgeschichte im voraus kennen, da er sie teils voraussetzt, teils nicht bis ins Letzte erklärt.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass jene, die Handke mit Vorwürfen und Häme und einer geradezu hysterischen Kritik überschütten, sich der Mühe des Lesens nicht unterzogen haben. Handkes im Wortsinn Hand-Schrift sperrt sich gegen das moderne Schnelllesen; mancher seiner Sätze, die er sich abgerungen hat, sperrt sich unserer gewohnten Lektüre von computer aided writing und fordert zwei-, dreimaliges Lesen. Die Kritiken im Ohr hab ich die drei Texte besonders aufmerksam gelesen; aber ich vermochte nicht eine Stelle zu finden, in welcher Handke die Ereignisse einseitig beurteilt oder gar die völkermordenden Aktionen irgendeiner Seite in den jüngsten balkanischen Kriegen gerechtfertigt hätte. Nicht einmal der Umstand, dass er vorab in serbischen Gebieten reiste und sich vorab mit Serben traf, kann ihm vorgeworfen werden; denn er hat sein Erkenntnisinteresse offengelegt: Im Kontrast zu der  im Westen (von westlichen Regierungen und Medien) betriebenen Vorverurteilung Serbiens unter Milosevics Führung wollte er sich selber ein Bild machen. 

Was ist daran verwerflicher als die einseitige Stellungnahme der westlichen Öffentlichkeit gegen Serbien? Wer warf denn den ersten Stein, um Jugoslawien, diese störende Realität zwischen den Blöcken, von aussen her zu zerbrechen? Im Vergleich zur einseitigen Einflussnahme der Regierungen vor allem in Washington und (damals) Bonn sind Handkes Fragen und Zweifel nicht nur vernachlässigbar parteiisch, sondern geradezu notwendig, wenn die Parteilichkeit in der Aufarbeitung der jüngsten Geschichte überwunden werden soll, um endlich Versöhnung und Frieden zu finden. Dass Handke von üblen Nationalisten in Serbien so gefeiert wird wie von üblen Machthabern im Dunstkreis der Nato ist nicht sein Fehler, sondern allenfalls die Folge seiner um äusserste Differenzierung bemühten Schreibe, aus der jeder oberflächlich Lesende einen Halbsatz herausreissen kann, der die eigenen Vorurteile zu bestätigen scheint.

Wer Handkes Texte in der gebotenen Langsamkeit und aufmerksam liest, wird darin nichts finden, was den Autor zum Verehrer von Diktatoren oder Kriegsherren macht, weder serbischen noch anderen. Zu finden ist dagegen, auch hier,  ein «Meister der Achtsamkeit im Kleinen», wie schon im 2016 ausgestrahlten Filmporträt Handkes oder in seinem 2010 erschienen Buch «Immer noch Sturm», in welchem er sich Stein und Stein, Pflanze um Pflanze mit seiner teils slowenischen Herkunft in Kärnten auseinandersetzte.

Als Handke der Nobelpreis verliehen wurde, erinnerte ich mich an dieses Buch; wenn alle seinen andern Bücher dem im «Sturm» gesetzten Mass standhalten, sei der Preis wohl verdient, war mein erster spontaner Gedanke. Erst der Sturm gewisser Kritiker hat mich veranlasst, mich mehr mit Handke und vor allem mit seinen Texten zu Jugoslawien zu befassen; sie mögen vielleicht nicht als Zeugnis in die Weltliteratur eingehen, aber sie sind zweifellos ein Zeugnis ehrlichen schriftstellerischen Bemühens um Wahrheiten hinter den wohlfeilen Schlagzeilen und Parolen.

Peter Handke: «Abschied des Träumers. – Winterliche Reise. – Sommerlicher Nachtrag». Suhrkamp, Frankfurt/M., 1998 (6. Auflage 2019), Taschenbuch, 250 S., ISBN 978-3-518-39405-2

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