Die Wissenschaft von den Sprachen kann sehr theoretisch, abstrakt und in für Laien schwer verständlichen Formen betrieben werden. Selten bekam ich Linguistik so beschwingt und heiter vorgeführt wie in Alberigo Albano Tuccillos zahlreichen «Amuse Bouche» auf seinem Facebook-Profil und dann fein gebunden im gleichnamigen Band.
Der Titel spielt an auf einen Begriff in der gehobenen Gastronomie für kleine feine Gaumenkitzler, die unverlangt noch vor der Vorspeise serviert werden. Und in ähnlicher Weise tischt Tuccillo seine linguistischen Häppchen auf: fein zubereitet, aber unaufdringlich und leicht verdaulich.
Die ursprünglich als zweimal wöchentliche Kolumne geplante, bald aber vom publizistischen Korsett befreite Reihe von 104 Miniaturen liegt mir in Buchform wie eine feine, leichte Perlenkette in den Händen, und obschon kein Zwang dazu besteht, kann ich nicht anders, als der Reihe nach einen Text nach dem andern zu lesen, wo ich doch sonst oft ein Buch von hinten zu lesen beginne. Nein, keine Sprünge hin und her, die macht Tuccillo schon selber, quer durch sein linguistisches Kabinett mal diese Erstaunlichkeit erklärend, mal jene Wunderlichkeit präsentierend, mit geübter leichter Feder, ohne Belehrsamkeit, vielmehr mit einer Neugierde, die mich sogleich in Bann zog. Auch wenn ich selber beruflich immer mit Sprache(n) zu tun hatte, ist mir fast unglaublich, was mein Freund Alberigo hier zubereitet hat. Kürzestgeschichten von echten und falschen Etymologien, von Redewendungen und Sprachbildern im interkulturellen Vergleich, von der Bedeutung uralter und fremder Sprachen für die eigene – einfach lesen!
Alberigo Tuccillo ist ein Sprachgeniesser, ein linguistisch gebildeter Feinschmecker, der sein reiches Wissen lustvoll mit anderen teilt, fast vierzig Jahre lang als Mittelschullehrer für Deutsch und Italienisch und nebenbei als Lektor und als Dozent für kreatives Schreiben. Sprachlich war der in der Südtiroler Provinz Trento Geborene schon vor seiner Einschulung herausgefordert, nachdem seine Familie in die Deutschschweiz ausgewandert war. Anders als in manchen italienischen Immigrantenfamilien wurde bei Tuccillos zuhause offensichtlich Italienisch gesprochen, ein Glücksfall nicht nur für die linguistische Wissenschaft und Lehre, sondern auch für das deutsche und italienische Publikum, das der perfekt zweisprachige Autor im Lauf seines Lebens mit zahlreichen Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken beschenkt hat.
Alberigo Albano Tuccillo: «Linguistische Amuse-Bouche». 306 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen. edition kalliope, BoD, Norderstedt, 2021. ISBN 978-3-75573-560-1
Danke, lieber Billo, für diese wohlwollende und vor allem sehr Appetit anregende Kritik! Zur Provinz Trento habe ich eine fast virtuelle Beziehung: Mein neapolitanischer Vater war Carabiniere und im Trentino-Alto Adige im Dienst. Dort brachte er jeweils seine Wäsche zu einer österreichischen Frau, die meine Großmutter werden sollte, weil sie eine hübsche Tochter hatte, die meinem Vater gefiel. Ich wurde in Rovereto geboren. Aber wir verließen das Trentino noch bevor ich alt genug war, um Erinnerungen an jene Umgebung zu haben. — Gedanklich bin ich aber oft dort. — Meiner Großmutter habe ich in ‹Wo ich tausendmal nicht war› auch ein Gedicht gewidmet:
KURZES EPOS ÜBER EINE HELDIN
«Auf! Auf!
Ché l’è Morgen!»,
pflegte Nonna zu rufen,
wenn Polenta
in Milch schwamm.
Mit einem Fuße
im Südtirol,
nähte sie
mit der andern Hand
Rot, Weiß und Grün
zusammen.
Danke dir für diese schöne Vervollkommnung, lieber Alberigo!
Ich bin sehr froh, dass du nicht in «Alberika» geboren bist; denn wer weiss, wie wir dann zu solchen Amuse-Bouche gekommen wären 😉